Anklage gegen Rockmusiker wegen Verleumdung: Was die Überwachungsvideos im Fall Ofarim verraten (2024)

Gil Ofarim, Musiker:
»Und dann ruft irgendeiner aus der Ecke ›pack deinen Stern ein!‹ und dann sagt der Herr W. ›packen Sie Ihren Stern ein‹«.

Peter Maxwill, DER SPIEGEL:
»Ich bin Peter Maxwill, SPIEGEL-Korrespondent in Leipzig, und ich habe gemeinsam mit Kollegen monatelang zum Fall Gil Ofarim recherchiert. Und wenn man diese Puzzleteile zusammenlegt zu einem Mosaik, dann ergibt sich eigentlich ziemlich klar das Bild, dass die Version, die Ofarim selbst verbreitet hat, so nicht stimmen kann.«

Anfang Oktober veröffentlichte der Schauspieler und Musiker Gil Ofarim ein Video auf Instagram.

Ortsmarke: Leipzig, 4. Oktober 2021

Gil Ofarim, Musiker:
»Einen schönen guten Abend zusammen. Ich weiß nicht… Ich bin grad sprachlos…. Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll…«

Auf dem Gehsteig vor dem Hotel »Westin« in Leipzig schildert er, wie er versucht habe, dort einzuchecken. Wegen technischer Probleme am Schalter habe sich eine Schlange gebildet.

Ofarim: »Kann passieren, alles gut. Kann passieren.«

Dann aber seien Menschen, die hinter ihm in der Schlange standen, von einem Hotelangestellten vorgelassen worden. Es sei zum Streit gekommen. Ofarim wirft dem Hotelmitarbeiter Markus W. Antisemitismus vor. W. habe Ofarim aufgefordert, seine Kette mit Davidstern zu verstecken, bevor er einchecken dürfe.

Ofarim: »Wirklich? Deutschland 2021.«

DER SPIEGEL konnte Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft und einer Wirtschaftskanzlei einsehen. Die Kanzlei war vom Hotel mit der Untersuchung des Vorfalls beauftragt worden. Zudem konnten wir die Aufnahmen der Überwachungskameras und zwei videoforensische Gutachten auswerten.

Peter Maxwill, DER SPIEGEL:
»Man kann auf den Überwachungsvideos ziemlich deutlich sehen, wie viele Leute in der Lobby stehen, wie eng es ist. Es gibt viele Leute, die einerseits diesen Ruf, diese antisemitische Beleidigung gehört haben müssten, aber auch viele Leute, die diesen Stern gesehen haben könnten. Und von den mehr als 30 Leuten, die insgesamt befragt wurden, erinnert sich nur ein einziger daran, dass Ofarim diese Davidsternkette sichtbar auch schon im Hotel getragen hat. Hinzu kommt, dass die Gutachter, also diese Videoforensiker, die das ausgewertet haben, zu dem eindeutigen Ergebnis kommen, dass er die Kette im Hotel eben nicht sichtbar getragen haben soll.«

Die Überwachungskameras zeigen, wie Ofarim am Hotel ankommt und sich am Schalter einreiht – und zunächst noch geduldig wartet.

Peter Maxwill, DER SPIEGEL:
»Ofarim steht dann schon eine ganze Weile in der Schlange, als plötzlich zwei Herren, die hinter ihm in der Schlange stehen, einen Hotelmitarbeiter fragen, ob sie schon einchecken können, weil ihre Karten bereits vorbereitet am Schalter liegen. Und der Hotelmitarbeiter entscheidet daraufhin tatsächlich wohl, den beiden ihre Karten zu bringen. Sie sind Stammgäste, das heißt, die technischen Probleme, die es an diesem Abend im Hotel gibt, betreffen die beiden gar nicht, weil alles schon vorbereitet ist, und sie direkt auf ihre Zimmer gehen können. Das ist mutmaßlich der Moment, in dem Ofarim getriggert wird.«

Als er wenig später an der Reihe ist, lässt er seinem Frust am Schalter offenbar freien Lauf.

Peter Maxwill, DER SPIEGEL:
»Man kann hier auf dem Video auch ganz deutlich sehen, wie er an einer Stelle die Hände so von oben nach unten ineinander klatscht. Das ist der Moment, in dem er nach Zeugenaussagen gesagt haben soll, ›das geht dann viral. Bamm, bamm, bamm.‹«.

Ofarim selbst bestreitet, dem Hotelpersonal mit einem negativen Posting und seiner digitalen Reichweite gedroht zu haben. Allerdings gibt es Zeugen, die genau das nach eigenen Angaben gehört haben.

Peter Maxwill, DER SPIEGEL:
»Man kann auf den Aufnahmen auch relativ deutlich sehen, dass während des Streits zwischen Ofarim und Markus W. einige andere Leute in unmittelbarer Nähe sind. Nicht nur Sofie G., eine Werkstudentin, die eine Kollegin ist von W., sondern auch am benachbarten Schalter zwei andere Gäste, die zeitgleich einchecken. Eine Betriebsrätin und ihr Kollege. Die Betriebsrätin selbst hat später in ihrer Befragung gesagt, sie sei ja selbst dafür verantwortlich, sich für die Interessen anderer Menschen einzusetzen. Und hätte sie mitbekommen, dass Ofarim tatsächlich auf diese rüde Art antisemitisch beleidigt worden wäre, dann hätte sie auf jeden Fall etwas gesagt und eingegriffen.«

Die Überwachungskameras zeigen auch, wie Ofarim anschließend vor dem Hotel das Video aufnimmt, über das bald auch CNN und New York Times berichten.

Peter Maxwill, DER SPIEGEL:
»Das Bittere an der ganzen Angelegenheit ist, dass das Thema Antisemitismus in Deutschland ein so wichtiges ist. Und Ofarim ja möglicherweise auch selbst schon von Antisemitismus betroffen war. Mit diesem Vorgang jetzt aber hat er der wichtigen Debatte über Antisemitismus in Deutschland ganz offensichtlich einen ziemlichen Bärendienst erwiesen.«

Direkt nach dem Vorfall zeigte er den Hotelmitarbeiter W. wegen Volksverhetzung an. Der wiederum erstattete Anzeige gegen den Musiker, wegen Verleumdung.

Peter Maxwill, DER SPIEGEL:
»Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft nach langen Ermittlungen entschieden, wie sie damit umgeht. Das eine Verfahren wegen Volksverhetzung wird eingestellt. Und Ofarim wird angeklagt und muss sich vermutlich dann vor Gericht verantworten.«

Anklage gegen Rockmusiker wegen Verleumdung: Was die Überwachungsvideos im Fall Ofarim verraten (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Rob Wisoky

Last Updated:

Views: 6366

Rating: 4.8 / 5 (48 voted)

Reviews: 95% of readers found this page helpful

Author information

Name: Rob Wisoky

Birthday: 1994-09-30

Address: 5789 Michel Vista, West Domenic, OR 80464-9452

Phone: +97313824072371

Job: Education Orchestrator

Hobby: Lockpicking, Crocheting, Baton twirling, Video gaming, Jogging, Whittling, Model building

Introduction: My name is Rob Wisoky, I am a smiling, helpful, encouraging, zealous, energetic, faithful, fantastic person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.